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Das Zlín der jungen Frauen und Männer von Baťa

Beginn der Route Náměstí T. G. Masaryka 1279
Erstes Objekt Morgendliche Hetze - Zweites Knabeninternat
František Lýdie Gahura, 1937
Öffentlicher Nahverkehr: Památník Tomáše Bati (BUS 53)

Im Jahr 1925 wurde die Werksfachschule der Firma T. & A. Baťa gegründet, die bekannter ist unter der Bezeichung Baťas Schule der Arbeit. Sie war für junge Mitarbeiter im Alter von 14 bis 18 Jahren bestimmt. Vier Jahre später begann man auch Mädchen in der Schule aufzunehmen. Von Anfang an hatten die Jugendlichen in der Hierarchie der Baťa-Beschäftigten auch ihre Anrede, Knaben wurden als junge Männer bezeichnet, Mädchen als junge Frauen. Dies sollte eine Vorstellung von ihrer Zugehörigkeit zur Welt der Erwachsenen schaffen. Sie waren selbst für ihre Zukunft verantwortlich, weswegen sie intensiv an ihrem persönlichen Aufstieg arbeiten und trotz ihrer Jugend vom ersten Augenblick an ihren Lebensunterhalt verdienen sollten. Die Anrede junger Mann, junge Frau wurde – ähnlich wie die Bezeichnung eines ordentlichen Beschäftigten als Mitarbeiter – zu einer signifikanten Titulierung für Menschen einer Idealgesellschaft, in der alle die gleichen Chancen und Erfolgsmöglichkeiten hatten.
Die Zlíner Gesellschaft der Zwischenkriegszeit war von einer speziell geformten industriellen Firmenkultur geprägt, deren Ziel es nicht war, nur einen neuen Arbeiter zu erschaffen. Ihre Ansprüche gingen über den Bereich der Werkstätten hinaus, sie konzentrierte sich auf die Heranbildung eines neuen Menschen. Die Figur eines idealisierten Baťa-Beschäftigten verfügte über besondere Eigenschaften und Fähigkeiten, die starke idealisierte Züge eines amerikanischen Pioniers aus der Zeit trug, als der Westen Amerikas besiedelt wurde. Ähnlich wie die amerikanischen Modernisierungsbefürworter zeichnete sich auch diese Figur durch Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen, Zukunftsorientiertheit und vollstes Vertrauen in eine wissenschaftliche Steuerung der Produktion und Gesellschaft aus. Gleichzeitig verfügte sie auch über ein beträchtliches Selbstvertrauen. Die Arbeit sollte zur Achse ihres Lebens werden, die nicht nur Quelle des Reichtums und Grundlage des sozialen Status sein sollte, sondern auch Mittel zur moralischen Selbstvervollkommnung und sozialen Emanzipation.
Und gerade jugendliche Beschäftigte aus Gebieten mit geringer Industrietradition sollten den an die Heranbildung des neuen Menschen gestellten Ansprüchen am besten genügen. Sie unterwarfen sich leichter als Erwachsene einer strengen Disziplin, waren was Bequemlichkeit anging weniger anspruchsvoll, brachten fast die gleiche Leistung und waren wesentlich billiger. Die Bevorzugung von minderjährigen Arbeitnehmern harmonierte somit in Baťas Betrieb mit den Grundsätzen der wirtschaftlichen Rationalität. In einem Konzern, in dem das Prinzip der Lohndifferenzierung zwischen erwachsenen Arbeitnehmern und Lehrlingen (wie auch zwischen Männern und Frauen) galt, wurde diese Gruppe wegen ihren geringeren finanziellen Ansprüchen zu einer unersetzlichen Arbeitskraft.
Funktionierende Institutionen und verbindliche Regeln in der Firmenkultur haben die Geschlechterrollen klar kategorisiert. Die Hierarchie dieser Rollen basierte einerseits auf den biologischen Veranlagungen und den daraus abgeleiteten sozialen Unterschieden zwischen Männern und Frauen, andererseits auf der Voraussetzung unterschiedlicher Werte, Vorlieben und Rollen in der Familie. Am deutlichsten spiegelte sich das in den unterschiedlichen Ausbildungsprogrammen. Während die Zukunft eines männlichen Absolventen an die Fabrik gebunden werden sollte (die Ausbildung sollte ihn auf eine qualifizierte Arbeit mit Blick auf eine Führungsposition vorbereiten), war die Ausbildung der Frauen praxisorientiert und mit unmittelbarer Auswirkung auf die Bedürfnisse des Konzerns ausgerichtet.
Frauen hatten gemäß den allgemein geteilten Vorstellungen Baťas von der Idealfamilie nur sehr begrenzte Karrieremöglichkeiten. Ihr Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nach der Geburt des ersten Kindes war erwünscht und faktisch von Dauer. Jedoch rechnete man auch weiterhin mit ihrer Stellung in der Baťa-Gemeinschaft. Um bessere Arbeitsergebnisse der Männer zu erzielen, sollte sie diesen innerhalb der Familie den nötigen Service bieten und gleichzeitig die nächste Generation von Baťa-Beschäftigten erziehen.
Die Ausbildung der Jugend unter den harten Bedingungen der Fabrik und der Lehrlingsschule sollte dazu verhelfen, eine qualifizierte und loyale Arbeiterklasse hervorzubringen. Die jungen Frauen und jungen Männer waren dabei das Aushängeschild des Unternehmens. Sie stellten dessen Fähigkeit unter Beweis, den neuen Menschen zu schaffen – einen „Selfmademan“, der dazu fähig war, sich dem schnellen Tempo von Produktion und Handel anzupassen, einen für den Konkurrenzkampf gestählten Mann – und seine Frau, die Familie und Haushalt versorgte und den Erfolg ihres Ehemanns in der Öffentlichkeit repräsentierte. In den Lehrjahren eigneten sich die Jugendlichen in Acht-Stunden-Schichten die Kenntnisse über die technologischen Verfahren in ihrer Branche an. Ziel war es, dass ein Absolvent jede Position in der eingeführten Fließproduktion einnehmen konnte.
Die Arbeit basierte auf der mechanischen (stereotypen) Wiederholung einfacher, im schnellen Tempo einer Fließbandproduktion ausgeführter Arbeitsschritte. Obwohl manuelle Arbeit öffentliches Ansehen genoss, flüchteten sich die Lehrlinge oft in die Verwaltung. Wiederholt erteilte Verbote, Lehrlinge in der Werkstattverwaltung zu beschäftigen, deuten darauf hin, dass Jugendliche und Firmenmanagement jeweils unterschiedliche Vorstellungen über einen beruflichen Werdegang hatten. Im Betrieb beschäftigte Jugendliche sollten ausschließlich im Akkord arbeiten. Ihre Einkünfte wurden von Erziehern verwaltet. Die Lehrlinge kamen für alle lebensnotwendigen und unentbehrlichen Ausgaben auf (Verpflegung, Unterkunft, Kleidung, Arbeits- und Lehrmaterial), alle weiteren Ausgaben, auch das Taschengeld, unterlagen einer strengen Kontrolle. Gleichzeitig wurden sie zur Sparsamkeit angehalten, was auch einer der Karriereindikatoren war.
Das in der Firma Baťa eingeführte fordistische System bedeutete gegenüber früheren Gepflogenheiten eine unterschiedliche Herangehensweise auch an den Alltag. Die ganztägige Beaufsichtigung der Arbeit und auch des Privatlebens eines künftigen Baťa-Pioniers gewährleistete eine systematische Verzahnung von Schule, Fabrik und Internat. Die Herauslösung aus dem bisherigen Umfeld der Familie stärkte die Abhängigkeit von der Firma und förderte gleichzeitig den Gehorsam der Lehrlinge. Die Unterbringung in einem Internat im Umfeld der Fabrik war in der Zwischenkriegszeit Bedingung für den Besuch von Baťas Schule der Arbeit, Ausnahmen wurden für die angestellten Jugendlichen praktisch keine gemacht. Auch vor Ort wohnende Bewerber und Bewerberinnen wurden in Sammelschlafstellen untergebracht.
Das erste standardisierte Internat ließ die Firmenleitung in der neu umverlegten sog. Malenovská-Straße (heute Tomáš Baťa-Str.) errichten. Später wandte sich ihre Aufmerksamkeit dem Hang oberhalb des Werks zu, wo sie ein Internatsviertel ansiedelte – im Westteil Knabeninternate, im östlichen dann Internate für Mädchen. Trotz des Bestrebens, die Wohnverhältnisse für Lehrlinge zu stabilisieren, mussten infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs, bzw. weil der öffentlichen Verwaltung Internatsräume zur Verfügung gestellt werden mussten, provisorische Unterkünfte in bestehenden Industriegebäuden eingerichtet werden. Diese Übergangsunterkünfte konnten auch in Friedenszeiten bis zu einem halben Stockwerk einnehmen, in denen – wie das Beispiel von Gebäude 51 zeigt – bis zu 260 Schlafplätze in Doppel-Etagenbetten zusammengedrängt waren.
Kontrolliert und bewertet werden konnte alles, was mit Hygiene, Disziplin und Arbeitsleistung zusammenhing. Als strafbare Vergehen galten nicht nur Verstöße gegen die Arbeitsdisziplin, sondern auch das Fernbleiben von der Schule oder die Nichteinhaltung der Unterbringungsregeln, was zur Grundlage genommen wurde, von der Schule ausgeschlossen zu werden und damit auch den Arbeitsplatz zu verlieren. Der ideologische Einfluss auf die Jugend war nicht allein auf die Arbeitleistung beschränkt.
Die Schaffung und Bestätigung einer kollektiven Baťa-Identität fand auf verschiedenen Ebenen und bei einer Vielzahl anderer Gelegenheiten statt. Junge Mitarbeiter wurden an die Idealfigur eines Baťa-Angestellten herangeführt (der je nach Bedarf mit emotional gefärbten Begriffen wie Pionier, Bataman, Wettkämpfer, Selfmademan, Führer usw. bezeichnet wurde), dessen Werte sie sich zu eigen machen sollten, etwa bei öffentlichen Ansprachen, bei Festlichkeiten wie dem Tag der Arbeit und der Begrüßung der Helden der Arbeit. Direkt ab Gründung der Schule wurden die jungen Männer und später auch die jungen Frauen in alle Baťa-Festlichkeiten eingebunden. Sie wurden Zierde jeder Baťa-Feierlichkeit: bei den großen Maifeiern, bei Sportveranstaltungen und anderen gelegentlich verantalteten Feiern. Scharen von Uniformen und Transparente mit der Boschaft „Jugend vorwärts“ tragenden Jugendlichen symbolisierten das neue, moderne, sich dynamisch entwickelnde und dabei geordnete Zlín.
Baťas Unternehmenskultur hat nicht nur die Figur des neuen Menschen geprägt, sondern war auch aktiv an der Gestaltung der physischen und sozialen Landschaft der Stadt beteiligt. Bei der Planung der Straßen, Unterkunftseinrichtungen und des öffentlichen Raumes des sich schnell entwickelnden Zlín hat man der Bewegung großer Menschenmengung Rechnung getragen. Der Raum, den die jungen Mitarbeiter tagsüber einnahmen, war nicht groß. Sie suchten mehrmals dieselben Plätze auf und organisierten ihre wiederkehrenden Aktivitäten anhand eines Tagesplans. Der Spaziergang Das Zlín der jungen Männer und jungen Frauen von Ba`ta stellt gerade die Teile der Stadt vor, die mit der täglichen Bewegung der Lehrlinge am engsten verbunden waren. Der Spaziergang umspannt den zeitlichen Rahmen zwischen Mitte der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre.
Im Hinblick auf den Wandel der Institutionen in einer sich dynamisch entwickelnden Industriestadt ist der Spaziergang an kein konkretes Datum gebunden, sondern eher an eine ideale Verteilung dieser Institutionen. Begleitet wird die Route von Texten, die allgemeine Einblicke in einige Phänomene des Lebens von Lehrlingen in einer Industriestadt geben. Sie sollen vor allem als Anhaltspunkte zu unbekannten, komplizierten oder vom Vergessen anheimgesuchten Themen dienen. Ein weiteres wichtiges Instrument zum Verständnis des Alltags der Arbeiterjugend in der Industriestadt sind schriftliche, akustische und Bildquellen, anhand denen die Gedankenwelt der Akteure offenbart und ihre verschiedenen Interessen und unterschiedlichen Perspektiven vergegenwärtigt werden und nicht zuletzt der erlebte Alltag in der Industriestadt vermittelt wird.
Das Thema des Alltagslebens in Baťas Zlín wird nicht nur Bestandteil dieses Spaziergangs sein, sondern soll im Laufe des kommenden Jahres auch in die Route Das sportliche Zlín und in Baťas Bildungs- und Erziehungssystem betreffende Studien einfließen.

 

MM