Wohnen zu Zeiten Baťas
Jan Kotěra, 1923
Öffentlicher Nahverkehr: Poliklinika (TROL 1, 2, 3, 6, 10, 11, 12, BUS 35, 38, 53, 70), Sportovní hala (TROL 2, 7, 11, 12, 13, 14, BUS 31, 36, 90)
Die Unterbringung von Beschäftigten war ab dem 19. Jahrhundert eines der Mittel, mit deren Hilfe Industrielle in Europa und in den Vereinigten Staaten den Lebensstandard ihrer Beschäftigten verbesserten und sich gleichzeitig ihre Loyalität und qualitativ gute Arbeitsleistungen sicherten. Der international aktive Schuhkonzern Baťa hat sich in hohem Maße für die Entwicklung von Firmenwohnungen eingesetzt. Im heimischen Zlín errichtete er für seine Arbeiter in der Zwischenkriegszeit über 2000 Häuser. Das Unternehmen zeichnete sich dabei durch ein außerordentlich systematisches Vorgehen aus, dank dessen ein ausgetüftelter, streng geregelter Bau- und Verwaltungsprozess zum Bau von modernen und wirtschaftlich erschwinglichen Unterkünften entwickelt wurde, die charakteristische architektonische und urbanistische Qualitäten aufwiesen.
Eine Reihe positiver Nutzen der Firmenunterbringung, wie die moderne Ausstattung der Wohnungen mit Bädern und Warmwasser und die niedrigen Mietpreise oder Erholungsgärten bei den Häusern wurde freilich von einem sehr durchorganisierten System, das Familienleben der Arbeiter zu gestalten, begleitet. Die Zlíner Produktionsgesellschaft tat dies mit der klaren Absicht, den Lebensstil und das Verhalten ihrer Beschäftigten zu formen.
Die Unterbringungspolitik der Firma hat ab den ersten, noch vor dem 1. Weltkrieg erfolgten Versuchen nach und nach Form angenommen. Diese wurden nach Überwindung der Nachkriegskrise fortgesetzt, als mit der fieberhaften Produktionssteigerung und der rasant zunehmenden Zahl der Beschäftigten in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre klar war, dass ein viel schnelleres Tempo angeschlagen werden musste. Die Aufmerksamkeit des Unternehmens richtete sich auf die erste konzentrierte Wohnzone Letná, die südlich vom Fabrikbezirk lag und durch Familienhäuser geschaffen wurde, die man in das umliegende Grün gesetzt hat. Der städtebauliche Entwurf wurde in den Jahren 1915–1918 von Jan Kotěra ausgearbeitet, einem Professor der Prager Kunstakademie, der für die Firma als Berater für architektonische Angelegenheiten tätig war. An dessen Konzept hat dann sein Schüler František Lýdie Gahura angeknüpft, der anschließend einer der Hauptarchitekten der Firma war. Selbständige Häuser sollten für die Beschäftigten ein Ausgleich für die anspruchsvolle Arbeit in der industriellen Umgebung sein und im Kontrast zum großen Kollektiv am Arbeitsplatz eine entsprechende Privatsphäre bieten. Die frühen Beispiele für die Unterbringung von Arbeitern wie sie durch Viertelhäuser mit Mansardendach in der Kotěrova-Straße oder durch verputzte Viertelhäuser vom Typ A und B repräsentiert werden, experimentierten noch mit ihrer Ausdrucksform und Disposition.
Die 1924 gegründete Bauabteilung der Firma kam nach Mitte der zwanziger Jahre mit dem Typ eines unverputzten Viertelhauses mit vier kleineren Wohneinheiten, das bereits serienmäßig reproduzierbar war. Eine kostengünstige und schnelle Realisierung des Wohnungsbaus war für die Firma Baťa von Schlüsselbedeutung. Nach und nach gewann er die Form von standardisierten einfachen zweigeschossigen Häusern mit Flachdach und verschiedenen Maßen, die durch unverputzte Backsteinmauerungen und die Verwendung von typisierten architektonischen Details, wie etwa Kastenfenster, Treppengeländer, Innen- und Außentüren es waren, charakterisiert wurden. Die Bauabteilung erstellte gleichzeitig auch umfangreiche Musterbücher und Statistiken der Bauten, in denen der Preis der einzelnen Posten und die Art und Weise, wie die einzelnen Elemente wiederholt verwendet werden können, monitorisiert wurden.
Zum am meisten verbreiteten Haustyp für verheiratete Firmenbeschäftigte wurde dann ein für zwei Familien bestimmtes Doppelhaus, das den Mietern eine größere Wohnfläche bot. Für die Mitarbeiter, die im Unternehmen wichtigere Positionen bekleideten, waren Einfamilienhäuser mit einem hohen Komfort selbständigen Wohnens vorbehalten und häufig eine Garage, Veranda oder Terrasse besaßen. Eine spezielle Kategorie stellten individiualisierte Villen dar, wie sie im Stadtviertel Letná beispielsweise durch die Villa für den Chef der chemischen Produktion Stanislav Landa aus dem Jahr 1939 verkörpert werden.
Die Firmenwohnviertel mit Letná an der Spitze waren ursprünglich als vom Trubel der Stadt abgeteilte Ruhe- und Erholungszonen geplant. Jedoch wurden sie auch dort in geringerem Maße von einem ergänzenden Dienstleistungsangebot in Form von zu Lebensmitteläden und Metzgereien oder Wäschereien adaptierten Häusern organisch durchsetzt. Die örtlichen Kinder konnten gleichzeitig schulische Einrichtungen besuchen, wie etwa den Kindergarten in der Straße Na Vyhlídce oder eine große moderne Volksschule, die nach den Plänen von Miroslav Lorenc 1930–1932 in der Straße Mostní realisiert wurde. Für motorisierte Einwohner standen im Rahmen eines Viertels eingeschossige Garagenobjekte mit mehreren Stellplätzen zur Verfügung. Bestandteil eines Bezirks waren auch Ledigenheime für junge unverheiratete Angestellte in den Positionen von Bürokräften, Ärzten oder Lehrern, die in Größe und Verarbeitung an die nahegelegenen Viertelhäuser erinnerten. Gegenüber den für die jüngsten Schüler bestimmten Internaten, in denen sich bisweilen über zehn Personen ein Zimmer teilten, boten sie eine größere Privatsphäre und waren ein wesentlicher Motivationsfaktor.
Obgleich der Wohnungsbau in den zwanziger und dreißiger Jahren von einer sorgfältig organisierten Standardisierung und Typisierung dominiert wurde, hat das Unternehmen auch nicht vermieden, weitere Möglichkeiten und Formen des Wohnens aktiv zu erproben. Deshalb wurde in den Jahren 1927–1928 im Viertel Letná das aus Amerika importierte Musterfertigholzhaus Alladin errichtet, das in dem Viertel jedoch ein Einzelfall blieb. Der Baumeister und Journalist Berty Ženatý, der nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten in der Presseabteilung der Firma tätig war, hatte nicht nur den Kauf des Hauses vermittelt, sondern stand auch hinter dem Entwurf einer Backsteinkopie seines dortigen Holzhauses am Rande der Wohnzone Nad Ovčírnou Pate. Diese schloss im Osten an das Viertel Letná an und bot den leitenden Mitarbeitern der Firma ein privilegiertes Wohnen in bequemen Einfamilienhäusern. In einem von ihnen befindet sich heute der Infopoint Wohnen zu Zeiten Baťas.
Im Laufe der dreißiger Jahre bemühte sich die Gesellschaft Baťa darüberhinaus intensiv darum, eine monotone standardisierte Produktion zu vermeiden und Unzulänglichkeiten der frühen Bauten hinsichtlich Technik oder Disposition auszumerzen. Deshalb schrieb sie im Jahr 1935 einen internationalen Wohnungsbauwettbewerb aus. Die starmäßig besetzte Jury hat von den eingereichten Entwürfen daraufhin gleich mehrere prämierte ausgewählt, deren Familienhausentwürfe unmittelbar darauf an dem an das Viertel Nad Ovčírnou angrenzenden Hang realisiert wurden (Haus Benš–Jech, Vítek, Svedlund und Vladimír Karfíks eigenes Haus). Weitere Experimente mit Wohnungstypen und –technologien haben sich anschließend dann vor allem in der neuen Wohnzone Lesní čtvrť abgespielt.
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