Familie Brichta
Datierung
1935–1939
Route
Häuser und Menschen
Kode
Z18
Adresse
Dlouhá (dříve ulice Potoky) 2699, Zlín
Öffentlicher Nahverkehr
Öffentlicher Nahverkehr: Lešetín I. (BUS 38)
GPS
49.2290986N, 17.6708681E
Marie Pipalová, die Ehefrau des Zlíner Transportunternehmers Leo Pipal, ließ sich im Jahr 1934 in der Straße Potoky nach den Plänen des Baubüros von Václav Špidla ein zweistöckiges Haus bauen (fertiggestellt im Oktober 1934). Die gesamte Fläche des Erdgeschosses nahmen Garagen ein, im ersten Stock befanden sich zwei Zweizimmerwohnungen mit geteiltem Bad, Toilette und Waschküche. Das Haus hat mehrere Veränderungen durchgemacht, der Baumeister Josef Winkler legte die Decken der Werkstatt höher (1944) und der Architekt František Lýdie Gahura entwarf einen Anbau, der genauso hoch wie ein Fabrikgebäude war (1947) und einen eigenen Eingang hatte. Beide Teile verband er mit einem durch Glasbausteine beleuchteten Treppenhaus. Damals diente das Haus als Pressbetrieb für Kunststoffe und als Gerätehaus. Nach 1948 wurde die Firma von Leo Pipal verstaatlicht und wurde zu Betriebsstätten des Bezirksindustrieunternehmens umfunktioniert. 1968 kam es dann zum Umbau der Gebäude für die Verwaltung des Unternehmens.
1935 bezogen die jüdischen Eheleute Evžen und Dora Brichta mit ihren beiden Kindern Arnošt und Lýdie den Neubau. In der ersten Republik waren die Brichtas in der Bekleidungsindustrie unternehmerisch tätig, während der Wirtschaftskrise zogen sie mehrfach um, bis sie in Zlín ansässig wurden. Evžen Brichta führte dort ein eigenes, relativ prosperierendes Revisionsbüro für Buchhaltung, dessen Klientel sich unter den Kleingewerbetreibenden befand. Seine Frau Dora öffnete vorübergehend einen Kleinbetrieb zur Herstellung von konfektionierten Strickwaren, in dem sie zwei Arbeiterinnen beschäftigte. Der heranwachsende Sohn besuchte die Bürgerschule und trat anschließend als sog. Jungmann (Lehrling) in der Firma Baťa ein. Nachdem er im November 1939 (offenbar aus rassistischen Gründen) aus der Firma entlassen worden war, fand er in Prag bei der Firma Ing. K. Stočes eine Stelle als Dreher. Im Dezember 1939 wurde Evžen Brichta als Mitglied der Widerstandskampfgruppe Obrana národa (Verteidigung des Volkes) denunziert, weswegen er das Protektorat mit seinem Sohn illegal verließ. Für ihre Flucht nach Frankreich benutzten sie die sog. Balkanstraße über die Trasse Slowakei–Türkei.
Wegen befürchteter Schwierigkeiten auf dem Weg blieben Mutter Dora und Tochter Lýdie im Protektorat zurück. Ebenso wie den meisten den Rassegesetzen unterstehenden Personen jüdischer Abstammung erwartete sie unter dem Naziregime eine unbarmherzige Verfolgung. Von ihrem neuen Wohnort in Holešov am Platz Malé náměstí Nr. 26 (heutiger Dr. Edvard-Beneš-Platz) wurden sie am 23. 1. 1943 ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Bereits drei Tage später wurden sie weitertransportiert ins Konzentrationslager Auschwitz, wo beide ermordet wurden.
In der Zwischenzeit schlossen sich Vater Evžen und Sohn Arnošt am 10. Februar 1940 in der französischen Stadt Adge der sich formierenden tschechoslowakischen Exilarmee an. Der ehemalig Stabshauptmann Evžen Brichta wär die meiste Zeit des Krieges als Referent der Personalabteilung tätig. Sohn Arnošt, der in Frankreich und später in Großbritannien an den Kämpfen teilnahm, machte beim Militärdienst auch mehrere Fachkurse durch. Im August 1944 schiffte sich Arnošt Brichta in Frankreich im Rahmen der tschechoslowakischen selbständigen Panzerbrigade aus. In den Kämpfen bei Dunkerque kommandierte er einen Panzer, später wurde er zum Kommandant einer Panzertruppe befördert. In Frankreich erlebte er auch das Ende des Zweiten Weltkriegs. Für ihre aktive Teilnahme an den Kämpfen erhielten beide Brichtas mehrere tschechoslowakische Militärauszeichnungen. Dem zum Major beförderten Evžen wurde das Tschechoslowakische Kriegskreuz, eine Verdienstmedaille und eine tschechoslowakische Gedenkmedaille des Militärs verliehen, Oberleutnant Arnošt Brichta erhielt neben derselben Gedenkmedaille noch eine Tapferkeitsmedaille.
Arnošt Brichta schaffte es, in England das Abitur zu machen, in der befreiten Tschechoslowakei begann er dann ein Maschinenbaustudium, das er bald abbrach und eine Beschäftigung als Generalvertreter für mehrere ausländische Firmen auf dem tschechoslowakischen Markt erhielt. Sein Vater hat, nachdem er 1947 die Armee verlassen hatte, im Büro seines Sohnes gearbeitet.
Nach dem Februarputsch von 1948 beschlossen Arnošt Brichta und seine Frau Libuše von der Tschechoslowakei nach Israel zu emigrieren. Im Juli 1949 reisten sie legal zusammen mit weiteren einundsechzig Personen jüdischer Abstammung mit einem Hagana-Transport über den italienischen Hafen Bari aus. Aufgrund des Verdachts, nicht jüdischer Abstammung zu sein, entschieden sie sich von Israel nach Europa zurückzukehren. Eine Zeit lang ließen sie sich in Großbritannien nieder, wo Arnošt Brichta Philosophie studierte und bei der britischen Gesellschaft Baťa arbeitete. Anschließend nahm er an einer Hochschule in Wales eine Arbeit als Pädagoge auf. Nach zehn Jahren zog er mit seiner Frau nach Australien, wo er ebenfals als Hochschulpädagoge tätig war. Nach dem Fall des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei 1989 kehrte er gelegentlich in sein Heimatland zurück.
MM
Evžen Brichta
Datum und Ort der Geburt: 22. 5. 1889, Holešov
Vorübergehender Wohnsitz: Dlouhá (früher Potoky-Str.), Nr. 2699, Zlín
Ständiger Wohnsitz: Holešov
Ankunftsdatum in Zlín: 1. 9. 1935
Ausgeübte Arbeit: Buchhalter im eigenen Revisionsbüro
Sterbedatum: 21. 10. 1959
Dora Brichtová
Datum und Ort der Geburt: 30. 1. 1890, Rožnov pod Radhoštěm
Geburtsname: Morgenstern
Vorübergehender Wohnsitz: Dlouhá (früher Potoky-Str.), Nr. 2699, Zlín
Ständiger Wohnsitz: Holešov
Ankunftsdatum in Zlín: 1. 9. 1935
Ausgeübte Arbeit: Leiterin einer Werkstatt zur Herstellung konfektionierter Strickwaren, Hausfrau
Arnošt Brichta
Datum und Ort der Geburt: 28. 6. 1921, Holešov
Vorübergehender Wohnsitz: Dlouhá (früher Potoky-Str.), Nr. 2699, Zlín
Ständiger Wohnsitz: Holešov
Ankunftsdatum in Zlín: 1. 9. 1935
Eintritssdatum in der Firma Baťa: 18. 8. 1936
Ausgeübte Arbeit: Junger Mann (Lehrling) in der Firma Baťa, a. s., Zlín
Entlassungsdatum: 25. 11. 1939
Entlassungsgrund: „po vzájemné dohodě“ (entlassen aus Rassegründen)
Lýdie Brichtová
Datum und Ort der Geburt: 11. 11. 1924, Holešov
Vorübergehender Wohnsitz: Dlouhá (früher Potoky-Str.), Nr. 2699, Zlín
Ständiger Wohnsitz: Holešov
Ankunftsdatum in Zlín: 1. 9. 1935
Ausgeübte Arbeit: Schülerin
Quellen:
-
Mährisches Landesarchiv in Brno, Staatl. Bezirksarchiv Zlín, Bezirksamt Zlín I., Kart. 716, Inv.-Nr. 1053.
-
Mährisches Landesarchiv in Brno, Staatl. Bezirksarchiv Zlín, Bezirksamt Zlín I., Kart. 506, Inv.-Nr. 399, Gewerbeberechtigung: Brichtová Dora.
-
Mährisches Landesarchiv in Brno, Staatl. Bezirksarchiv Zlín, Bezirksamt Zlín I., Buch 20, Passevidenz, Nr. 1980 / 1939.
-
Mährisches Landesarchiv in Brno, Staatl. Bezirksarchiv Zlín, Bestand Baťa, a. s., Zlín, Sign. II/2, Kart. 1074, Inv.-Nr. 30, Acquisitionsnr. 6, Beschäftigtenkarte: Brichta Arnošt.
-
Jüdisches Museum in Prag, Dokumentationssammlung, Sign. INTERVIEW JMP.925, Interview: Brichta Arnošt.
-
Jüdisches Museum in Prag, Dokumentationskarte, Sign. SHOAH/PERS/OP/045/83532 und SHOAH/PERS/OP/045/83538, zwei Fotos von Arnošt Bricht in der ausländischen Armee im Jahr 1940.
-
Militär-/ Zentralarchiv – Militärhistorisches Archiv, Sammlung Qualifikationsurkunden, Brichta Evžen, Brichta Arnošt.
-
Militär-/ Zentralarchiv – Militärhistorisches Archiv, Sammlung Stammblätter, Brichta Evžen.
-
Militär-/ Zentralarchiv – Militärhistorisches Archiv, Sammlung „24“, Brichta Evžen.
-
Militär-/ Zentralarchiv – Militärhistorisches Archiv, Kartothek Auszeichnungen, Brichta Evžen, Brichta Arnošt.
-
Militär-/ Zentralarchiv – Militärhistorisches Archiv, Sammlung Bescheinigungen laut Gesetz 255/1946 Slg., AZ. 66261/47.
-
Archiv der Sicherheitsdienste, Bestand Jüdische Organisationen, Sign. 425-191-31, S. 26, Brichta Arnošt.
-
Zentrale Datenbank der Scho’ah-Opfer, Yad Vashem, Jeruzalém – Dora Brichtová (aufgerufen am 21. 5. 2023: https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=1919199&ind=1 ).
-
Zentrale Datenbank der Scho’ah-Opfer, Yad Vashem, Jeruzalém – Lýdie Brichtová (aufgerufen am 21. 5. 2023: https://yvng.yadvashem.org/nameDetails.html?language=en&itemId=1904278&ind=1 ).