Die Geschwister Adler – František, Karel und Rudolf – wuchsen in der Familie des erfolgreichen Kyjover Bäckers Emil (Emanuel) Adler und seiner Frau Gisela auf. In dem Geschäft des Vaters kamen sie auch zuerst mit dem Bäckerhandwerk in Berührung, krönten dort ihre Lehrjahre und arbeiteten bei ihm die ersten Jahre nach der Lehre. Der jüngste Bruder Rudolf begriff das Finanzpotenzial der Baťaschen Industriestadt. Im Frühjahr 1937 machte er sich vom Gewerbe seines Vaters selbständig und mietete in der Zlíner Vorstadt Trávník das Haus Nr. 35 an, in dem er einen privaten Bäckereibetrieb eröffnete. Das heute bereits nicht mehr existierende niedrige einstöckige Häuschen mit abgewalmtem Satteldach war mit seiner Längsseite der Straße zugewandt, und die Giebelmauer schloss an ein zweistöckiges Eckhaus mit Mansardendach an. Die Fenster des weißverputzten Hauses hatten eine schmale Fenstereinfassung, auch die Fläche zwischen den Fenstern war mit einem einfachen geometrischen Dekor versehen.
Der Standort der Bäckerei auf dem Marktplatz des einstigen Städtchens, weit entfernt von größeren Verkaufsläden und gleichzeitig auf dem täglichen Weg von Tausenden von Baťa-Arbeitern vom historischen Zentrum zur Fabrik liegend, brachte ebenso wie die moderne Geräteausstattung im Wert von schätzungsweise 12.500 CZK einen Wettbewerbsvorteil. Dem entsprach auch der Umsatz des Geschäfts. Im Jahr 1937 erreichte er 90 Tausend Kronen, im darauffolgenden Jahr sogar bereits 140 Tausend. Nach zwei Betriebsjahren beschäftigte Rudolf Adlers Bäckerei drei Arbeiter, vier Lehrlinge und einen Ausfahrer. Fast von Anfang an arbeitete auch Rudolfs ältester Bruder František in der Bäckerei, der zweitälteste Bruder Karel fing nur eine Woche vor der Okkupation der restlichen böhmischen Länder durch Nazi-Deutschland dort an zu arbeiten.
Neben dem Aufbau seines Gewerbes beteiligte sich Rudolf Adler auch an der Entwicklung der örtlichen Berufsorganisation Gesellschaft der Bäcker des politischen Zlíner Bezirks mit Sitz in Zlín. Die Organisation sollte gemäß ihren Statuten das Bäckerhandwerk zu Ansehen bringen, die Zusammengehörigkeit der Mitglieder der Gesellschaft fördern, Streitigkeiten schlichten, sich um die Aufrechterhaltung der Ordnung kümmern und nicht zuletzt bei der Regelung und Durchführung der Gesellenprüfungen mitwirken. Obwohl es sich um eine junge, erst im Mai 1937 gegründete Organisation handelte, zählte die Gemeinschaft zum Ende dieses Jahres bereits 71 Bäckermeister. Rudolf Adler, der zu den Gründungsmitgliedern gehörte, nahm an den regelmäßigen Jahresversammlungen teil und beteiligte sich auch aktiv an den Diskussionen über die jeweils erörterten Fragen. So war es auch auf der am 13. August 1939 in den Räumlichkeiten des Hotels Balkan abgehaltenen außerordentlichen Generalversammlung der Gesellschaft, auf der er mit seinen Anmerkungen über die Änderung der Arbeitszeiten und über die Nachtarbeit einen Beitrag leistete. Das war jedoch bereits die letzte öffentliche Diskussion, an der er als eine von der Besatzungsverwaltung als Jude bezeichnete Person teilnehmen konnte.
Der Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland und die Errichtung autoritärer Regime in seinen Satellitenländern brachten für die Geschäfte von Personen jüdischer Abstammung eine Katastrophe mit sich. Nach den Restriktionen, die bereits nach dem Münchner Abkommen in der Tschechoslowakei eingeführt worden waren, wurde nach der Besetzung der übrigen böhmischen Länder den dort lebenden jüdischen Personen jegliche unternehmerische Tätigkeit rasch verwehrt. Ihr Eigentum wurde auf Anordnung der deutschen Besatzungsbehörden laut NS-Sprachgebrauch „arisiert“. Aus Sicht der NS-Ideologie sollte die Zwangsveräußerung von Unternehmen die „rassisch minderwertige“ Bevölkerung dauerhaft enteignen und gleichzeitig den deutschen Einfluss in der tschechischen Wirtschaft und Gesellschaft stärken.
In der Zeit zwischen Enteignung und Verkauf wurden für die größten Unternehmen mit eigenem Immobilen Besitz vorübergehend sog. Treuhänder ernannt. Bei Adlers Bäckerei in Zlín war dies jedoch nicht der Fall, sie wurde auf Anordnung der deutschen Behörden im April 1940 liquidiert. Die Vorräte und kleine mobile Ausstattung der Firma wurde beim Zwangsverkauf auf nicht ganz 18 Tausend Protektoratskronen beziffert, wovon Roggen- und Weizenmehl über 13 Tausend Kronen ausmachten. Die durch den Verkauf erzielten Finanzmittel wurden bei der Sparkasse der Stadt Zlíln auf ein gebundenes Konto von Rudolf Adler eingezahlt, jedoch hat der Kontoeigentümer davon nie Geld abgehoben. Nach der Zwangsbeendigung des Betriebs kehrten die Geschwister Karel und František Adler langsam in ihre Geburtsstadt Kyjov zurück, wo auch das Geschäft ihres Vaters arisiert wurde.
Die Gelegenheit, arisiertes Eigentum zu erwerben, wurde nicht selten auch von tschechischen Protektoratsangehörigen ergriffen. In solchen Fällen bediente sich ihre Argumentation der rassistischen Texte der deutschen Propaganda. Einer der Bewerber um Adlers Kyjover Bäckerei bemühte sich, sie mit folgenden Worten zu bekommen: „Der Genannte [= der Verfasser des Schreibens] hatte eine Bäckerei vom Juden Platzek in Koryčany gepachtet, infolge des Verkaufs derselben bin ich um das Gewerbe gekommen, seitdem kann ich mir nicht helfen [= gemeint war, um ein eigenes Gewerbe anzumelden] und bin gezwungen, als Arbeiter zu arbeiten. Ich bin im Tschechischen Nationalsozialistischen Lager – Flagge organisiert und würde Herrn Oberlandrat Dr. Rudolf sehr darum bitten, wenn er mir behilflich wäre und mir diese jüdische Bäckerei von Emil Adler überließe. Dort sind lauter Juden beschäftigt, die uns Arier bei der Arbeit nur bremsen.“
Bäcker Rudolf Adler ist nicht mit seinen Brüdern in seine Geburtsstadt Kyjov zurückgekehrt. Im Dezember 1939 wurde er in Zlín verhaftet und im Juni 1940 vom Volksgerichtshof in Berlin verurteilt. Dieses wurde von den Nazis 1934 als Sondergericht zur Aburteilung von Hoch- und Landesverrat eingerichtet und wurde nach und nach zum Instrument des Justizterrors gegen politische Gegner des Nationalsozialismus. Rudolf Adler wurde wegen des Versuchs, die antinazistische illegale Organisation Obrana národa (Verteidigung des Volkes) zu unterstützen, zu 4 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt. In weiteren Jahren durchlief er Gefängnisse in Berlin, Waldheim, Wecht und Hamburg. Später wurde er ins Vernichtungslager Auschwitz verschleppt.
Als Rudolf Adlers Bäckerei in Zlín und die des Vaters in Kyjov konfisziert wurden, hat man die Geschwister František und Karel in der Umgebung von Kyjov als Zwangsarbeiter eingesetzt. Laut den erhalten gebliebenen Arbeitsbüchern waren sie in den Jahren 1941–1942 als Hilfsarbeiter auf Baustellen, bei der Instandsetzung von Bahnstrecken oder in der Braunkohlegrube Hugo tätig.
Das letzte Kapitel im Leben der Mitglieder der Kyjover Familie Adler wurde ab Januar 1943 geschrieben. Ähnlich wie die übrigen jüdischen Mitbürger aus Südostmähren verloren sie die restlichen Bürgerrechte. Auf Anordnung des NS-Sicherheitsapparates wurden alle Familienmitglieder in Uherský Brod versammelt, von wo aus sie am 23. Januar 1943 mit einem Transport ins Ghetto Theresienstadt gebracht wurden. Bereits drei Tage später fuhren einige der Familienangehörigen mit einem Transport ins Vernichtungslager Auschwitz. Die Eltern blieben bis zum 15. Dezember 1943 in Theresienstadt, als sie ebenfalls mit einem Transport nach Auschwitz verschleppt wurden.
Im Lager Auschwitz wurden die Eltern Emil und Gisela Adler, ihr ältester Sohn František und der bisher unerwähnt gebliebene jüngste Sohn Vítězslav (* 3. 8. 1919) ermordet. Die beiden übrigen Geschwister Karel und Rudolf kamen später von dort als Arbeitsfähige ins Konzentrationslager Flossenbürg. Karel erlebte die Befreiung der Häftlinge durch amerikanische Einheiten in Neustadt an der Waldnaab in der Oberpfalz, Rudolf starb am 7. März 1945 im Lager.
MM
Rudolf Adler
Datum und Ort der Geburt: 09. 01. 1912, Kyjov
Vorübergehender Wohnsitz: Trávník 35, Zlín
Ständiger Wohnsitz: Riegrova 366, Kyjov
Ankunftsdatum in Zlín: 23. 04. 1937
Ausgeübte Arbeit: Privatbäcker
Karel Adler
Datum und Ort der Geburt: 12. 08. 1910, Kyjov
Vorübergehender Wohnsitz: Trávník 35, Zlín
Ständiger Wohnsitz: Riegrova 366, Kyjov
Ankunftsdatum in Zlín: 08. 03. 1939
Ausgeübte Arbeit: Bäckergehilfe
František Adler
Datum und Ort der Geburt: 24. 12. 1907, Kyjov
Vorübergehender Wohnsitz: Trávník 35, Zlín
Ständiger Wohnsitz: Riegrova 366, Kyjov
Ankunftsdatum in Zlín: 03. 05. 1937
Ausgeübte Arbeit: Bäckergehilfe
Quellen und Literatur:
-
Mährisches Landesarchiv in Brno, Staatl. Bezirksarchiv Zlín, Bestand Bezirksamt Zlín I., Kart. 716 und 717, Inv.-Nr. 1053.
-
Mährisches Landesarchiv in Brno, Staatl. Bezirksarchiv Zlín, Bestand Bezirksamt Zlín I., Kart. 770, Inv.-Nr. 1156 – Gesellschaft der Bäcker des politischen Zliner Bezirks mit Sitz in Zlín (Präsenzlisten, Protokolle).
-
Mährisches Landesarchiv in Brno, Bestand B 258 – Oberlandrat Zlín, Kart. 14, ohne Sign. – Adler Rudolf: Inventur.
-
Archiv des Jüdischen Museums in Prag, Sammlung Varia, Kart. 21 – Kartothek Arbeitsamt in Zlín.
-
Archiv des Jüdischen Museums in Prag, Sammlung Varia, Kart. 55 – Arbeitsbücher: Adler František, Adler Karel.
-
-
-
Arolsen Archives, 1 Incarceration Documents / 1.1 Camps and Ghettos / 1.1.42 Ghetto Theresienstadt / Signatur 11422001, Dokumentnr. 177414 – Zentralkartothek – Transporte: František Adler (aufgerufen am 30. 11. 2023: https://collections.arolsen-archives.org/de/search/person/4962314?s=4962314&t=2546926&p=0 ).
-
Antonín MACHÁŇ, Vojenská odbojová organizace Obrana národa působící v letech nacistické okupace Československa v období let 1939 až 1943 v oblasti dnešního okresu Gottwaldov. Maschinengeschriebenes Manuskript, Gottwaldov 1982, 143 S.