Einfamilienhaus
Der Schuhkonzern Baťa hat dem Wohnen seiner Beschäftigten in den zwanziger und dreißiger Jahren eine intensive Aufmerksamkeit gewidmet. Dadurch hatte sich bald eine klar vorgegebene Struktur der Firmenwohnungspolitik herauskristallisiert. In Abhängigkeit von Alter, Familienstand oder von der jeweiligen Stellung im Unternehmen bot sie ihren Mitarbeitern mehrere erschwingliche Wohnungstypen an. Für die jüngsten Schüler von Baťas Schule der Arbeit standen Gemeinschaftsunterkünfte in gemeinsamen Internaten zur Verfügung, für ledige Büroangestellte, Ärzte oder Lehrer dann die etwas kleineren und komfortableren Ledigenwohnheime. Verheiratete Beschäftigte mit Familien wiederum konnten um Mietwohnungen in selbständigen Häusern in den Vierteln Letná, Zálešná, Podvesná, Díly oder Lesní čtvrť ersuchen. Das lediglich für eine Familie bestimmte Wohnhaus befand sich im oberen Teil dieser Pyramide über den für die Hauptmasse der Arbeiterschaft vorbehaltenen Viertel- und Doppelhäusern.
Das Einfamilienhaus sollte besser gestellten Beschäftigten des Unternehmens, die außerhalb der Produktion, am häufigsten in der Verwaltung, im Schul- oder Gesundheitsbereich tätig waren, einen höheren Wohnstandard bieten. Laut dem Jahrbuch der Firma Baťa aus dem Jahr 1940 machten Einfamilienhäuser 17 % der Gesamtanzahl von 2048 Häusern in den Arbeitervierteln aus. Auch dank dieser begrenzten Zahl haben sie sich zumeist organisch in die einzelnen Wohnzonen eingefügt und sich mit dem verbreitetsten Typ – dem Doppelhaus – abgewechselt. Das privilegierte und nur für die Einfamilienhäuser der leitenden Angestellten vorbehaltene Stadtviertel Nad Ovčírnou bildete zusammen mit einer Gruppe von Einfamilienhäusern um die Straße Slovenská im Viertel Lesní čtvrť dabei eine Ausnahme.
Die Einfamilienhäuser stellten einen hervorragend ausgestatteten modernen Wohnungstyp dar, der im Erdgeschoss eine großzügige Wohnfläche mit Vorraum, Arbeitsküche, Speisekammer und Wohnzimmer bot. Die Familien konnten die Annehmlichkeit eines Eltern- und Kinderschlafzimmers im Obergeschoss sowie eines weiteren Zimmers, beispielsweise für Gäste, in Anspruch nehmen. Darüberhinaus waren die Einfamilienhäuser ähnlich wie die Doppelhäuser elektrifiziert, an der städtischen Kanalisation angeschlossen und verfügten immer über Badezimmer mit Badewanne und Toilette und über eine Küche mit fließendem Wasser. Aufgrund ihrer Größe und dass sie nur von einer Familie bewohnt wurden, boten sie natürlicherweise eine reichhaltigere Struktur des Grundrissschemas und wurden von der Firma in vielen unterschiedlichen Versionen realisiert. Die Grundvarianten Typ 1930 oder Typ Fryček, die sich häufig gerade in den Vierteln Letná oder Nad Ovčírnou befanden, waren von der Baumasse her mit ihrem Eingang direkt in der Vorderfront am einfachsten. Weitere Ausführungen (Einzelhaus mit Veranda, Einzelhaus mit Garage, Typ Ríša, Lehrerhaus) unterschieden sich durch eine vorgelagerte Eingangsveranda oder eine Erdgeschossgarage, die im Obergeschoss gleichzeitig den Sockel für eine geräumige, von den Schlafzimmern aus zugängliche Außenterrasse bildete. Der unterkellerte Teil der Einfamilienhäuser barg wiederum ergänzende Hilfsbetriebsräume wie etwa Wasch- und Trockenräume es waren. Ihre individualisierten und zugleich kostspieligeren Varianten wurden besonders in den dreißiger Jahren von den einzelnen, in der Bauabteilung der Firma beschäftigten Architekten entworfen und waren eher auf die Typologie einer modernistischen Villa ausgerichtet, die auf die Anforderungen des Lebens ihrer konkreten Bewohner reagierte.
Trotz aller Außergewöhnlichkeit wurden die Einfamilienhäuser stabil in das standardisierte Bausystem der Firma aufgenommen, das auf eine wissenschaftlich genaue, außerordentlich sorgfältig organisierte Art und Weise umgesetzt wurde. Vom ersten Entwurf bis zur finalen Realisierung und Wohnungsübergabe handelte es sich um ein klar abgegrenztes, automatisieres Verfahren, das die Einhaltung der entsprechend kurzen Fertigstellungstermine und niedrige Preise ermöglichte. Von den anfänglichen Varianten, als die Häuser von einer einzigen Arbeiterkolonne gebaut wurden, ist man schließlich dazu gelangt, dass sich jeweils eine konkrete Handwerkergruppe (Tischler, Schreiner, Fenstersetzer, Maurer), die nur auf einen Bereich spezialisiert war, den einzelnen Bauaktivitäten widmete. Die Handwerkerteams wechselten sich am Haus nach festgelegten Arbeitsplänen ab und machten dann anschließend systematisch Haus für Haus weiter. Ein Zwei- oder Einfamilienhaus konnte so innerhalb von 11–14 Wochen fertiggestellt werden. Auch deshalb konnte die Firma für die rasant wachsende Einwohnerzahl Unterkünfte schaffen. Im Kontext der tschechoslowakischen industriellen Umgebung war ein solches Tempo, mit dem sich Familienwohnungen mit einem hohen Standard ausbreiteten, etwas nie Dagewesenes.
Den Einfamilienhäusern widerfuhr ein ähnliches Schicksal wie den übrigen Familienhaustypen der Firma. Heute befinden sie sich in den meisten Fällen in Privatbesitz, werden weiterhin bewohnt, weswegen sie auch eine Reihe moderner Eingriffe ins Dispositionsschema, in die Baumasse oder bzgl. partieller architektonischer Details durchgemacht haben. Einfamilienhäuser in völligem Originalzustand sind nur sehr wenige bis in die Gegenwart erhalten geblieben. Im Unterschied zu den üblicherweise öfters mit Anbauten versehenen und vergrößerten Doppelhäusern, sind sie dem Original häufiger in Größe oder der Organisation des Außen- und Innenraums ähnlich. Eine Änderung der Häuser muss darüberhinaus die von der städtischen Denkmalzone vorgegebenen Regeln respektieren, deren Ziel es ist, die einzigartige urbane Struktur der Arbeiterviertel in höchstem Maße zu bewahren und so ihren typischen Charakter für weitere Generationen zu erhalten.
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