Jan Kotěra, mit ganzem Namen Jan Karel Zdenko Kotěra, zählt zu den markantesten Persönlichkeiten der tschechischen Architektur. Er war nicht nur Architekt, sondern auch Städtebauer, Architekturtheoretiker, Hochschullehrer, Möbeldesigner und Künstler. Für die Bandbreite seiner Interessen und Bildung wurde er an der Jahrhundertwende zur führenden Persönlichkeit des künstlerischen Lebens und zum Begründer der modernen tschechischen Architektur.
Er wurde am 18. Dezember 1871 in Brünn geboren. Er besuchte deutsche Schulen und die Fachschule für Bauwesen in Pilsen. Nach dem Abitur machte er ein Praktikum in einem Prager Planungsbüro, wo sein architektonisches Talent zum Vorschein kam und er Mäzene für weitere Studien an der Akademie der Bildenden Künste in Wien gewann (1894–1897, Profesor Otto Wagner). In Wien machte er die Bekanntschaft von Josip Plečnik, Josef Hoffmann und Adolf Loos. Er war beeinflusst von der Wagnerschen Moderne und vom Klassizismus, der an der Wiener Akademie noch am ausklingen war.
Im Jahr 1898 trat er an der Spezialschule für dekorative Architektur der Prager Kunstgewerbeschule eine Stelle als Pädagoge an. Im darauffolgenden Jahr heiratete er und begann mit der Arbeit am Prager Haus Peterka, seinem ersten bedeutenden Werk. Nach einem Besuch der Vereinigten Staaten von Amerika (1904) stellte er seinen Studenten als einer der Ersten hierzulande das Werk von F. L. Wright vor und setzte diese Kenntnisse auch in seinem eigenen Schaffen um. Im Jahr 1910 wurde er an der Akademie der Bildenden Künste in Prag zum Professor der Spezialschule für Architektur ernannt. Neben den pädagogischen Aktivitäten hat er auch seine Schüler in seinen eigenen Schaffensprozess eingebunden und eine Reihe von tschechischen Architekten der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert deutlich beeinflusst, so beispielsweise Bohuslav Fuchs, Josef Gočár, Jaromír Krejcar, Kamil Roškot, Miroslav Lorenc oder František L. Gahura. Er war Autor von über 170 Realisationen von bedeutenden Gesellschaftsgebäuden, Mietshäusern, Familienvillen, Arbeiterkolonien, Denkmälern, Gedenkstätten und Grabmälern.
Jan Kotěra stand auch ganz am Anfang beim Bau des „Baťaschen“ Zlíns Pate. Bis zu seinem Tod fungierte er als Berater der Firma Baťa. Die Zusammenarbeit mit Tomáš Baťa begann 1910, als er am Bauprojekt der Familienvilla des Industriellen arbeitete. Kotěra hat sowohl den Außenraum, als auch die Innenräume der Villa neu entworfen. Weitere Studienentwürfe Kotěras für eine Tomáš-Baťa-Bibliothek und ein Zlíner Kino (1917) wurden jedoch nicht realisiert.
Baťas Schuhfabrik begann sich im Ersten Weltkrieg schnell zu entwickeln, und dieser wachsende Komplex benötigte weitere Arbeitskräfte, für die ein entsprechendes Umfeld geschaffen werden musste. Kotěra war der erste Architekt, der sich mit den urbanistisch-architektonischen Problemen Zlíns auseinandersetzte. Sein Projekt der Arbeiterkolonie in Letná war zwar konzeptuell und räumlich begrenzt, stellte trotzdem aber den Baubeginn des ersten neuen Stadtviertels dar.
Seine Regulierungspläne wurden als Ausgangsvorlage für die weitere Entwicklung der Stadt herangezogen. In Zlín hat Kotěra seine beim Bau der Arbeiterkolonien in Louny (1909) und Záběhlice (1914) gemachten Erfahrung umgesetzt. In Zlín sollte eine differenzierte Wohnbebauung mit Grundversorgung (Schulen, Gaststätten, Konsumläden, Bäder und sämtliche Dienstleistungen) und ein reibungsloser Übergang der überwiegend landwirtschaftlichen Bevölkerung zu der neuen Art zu wohnen gewährleistet werden, die auf den Grundstücken eine selbständige Bewirtschaftung möglich machte.
Kotěra arbeitet in den Jahren 1915–1918 die ersten Regulierungspläne für das neu entstehende Firmenviertel aus. Nach seinen Entwürfen errichtete man in Stará Letná in der späteren Straße Malenovská zwei Häuserreihen, die als Včelín bezeichnet wurden (1915–1920, abgerissen), fünf einstöckige Einfamilienhäuser für Beamte an der Březnicer Landstraße, Hradčany genannt, (abgerissen), Viertelhäuser in der Antonínova-Straße (1922), die 1944 bei einem Luftangriff zerstört wurden, und Viertelhäuser in der Kotěrova-Straße, von denen ein Teil bis heute erhalten geblieben ist. An Kotěras Bebauungsprinzipien hat sein aus Zlín stammender Schüler an der Akademie František L. Gahura angeknüpft. Kotěras Wahl war ein glücklicher Schritt zur weiteren Entwicklung der Zlíner Wohnkultur, und mit seiner Arbeit legte er den Grundstein für die städtebauliche Tradition in Zlín.
Kotěras Bauten haben einen großen künsterlischen Wert und Züge einer Monumentalität. In seinem Werk verband er Bildende Kunst und Architektur zu einer untrennbaren Einheit. Anfänglich haben seine Bauten Jugendstilcharakter, später bemühte er sich vor allem um Zweckdienlichkeit und um reine und übersichtliche Logik. Die meisten Gebäude zeichnen sich durch eine asymmetrische, jedoch ausgewogene Komposition, durch eine akzentuierte Tektonik und die Verwendung von unverputztem Mauerwerk aus.
Jan Kotěras Werke finden wir beispielsweise in Prag: die Villa Trmal (1902–1903), das Haus von Stanislav Sucharda mit Atelier (1904–1907), das Haus Kotěra (1908–1909), das Wasserwerk in Vršovice (1906–1907), das Haus Laichter (1909) und das Geschäftshaus Urbánek Mozarteum (1911–1913). Er baute auch das Stadtmuseum in Hradec Králové (1906–1913), das Bankgebäude Slavia in Sarajevo (1911–1912), die Villa von JUDr. Ferdinand Tonder in Sankt Gilgen (1905–1906) und die Villa Lemberger-Gombrich in Wien (1913–1914).
Er organisierte und gestaltete auch eine Reihe von Installationen von bedeutenden Ausstellungen und Ausstellungspavillons. Seine Spuren hinterließ er auch in Mähren. Zu seinen außerhalb in Zlín durchgeführten Bauprojekten zählen das Volkshaus in Prostějov aus den Jahren 1905–1907 und ein Ensemble von zehn Doppelhäusern in Rožnov pod Radhoštěm für pensionierte Angestellte der Witkowitzer Eisenwerke (1922–1923).
Jan Kotěra starb nach längerer Krankheit am 17. April 1923 in Prag und wurde auf dem Friedhof Vinohrady beigesetzt.
LH